Montag, 17. August 2015

Von Popstars zu kleingemachten und sauren Zitronen!

14.08.2015

Was für heute auf dem Programm in unserer Küche steht hört sich echt gut an. Gut und abwechslungsreich. Denn heute geht es nicht, wie sonst immer auf die Plantage schuften, heute geht es nach Barras, eine benachbarte Stadt. Hier besuchen wir eine der staatlichen Schulen und reden über Deutschland, Brasilien, Vorurteile unser Projekt und über das Schulleben. Vor allem der Umgang mit Minderheiten innerhalb der deutschen Gesellschaft interessiert die Jugendlichen. Viele Fragen zum Umgang mit Homosexualität und Rassismus werden gestellt. Es entsteht sehr schnell ein wirklich interessantes und trotzdem nicht verstocktes Gespräch, über das was die Jugendlichen bewegt und beschäftigt. Wir zeigen den interessierten Schülern, die wirklich für jeden Spaß zu haben sind, einige unserer Lieder, die wir immer auf der Plantage vor uns hin trällern und es wird sofort mitgesungen. Spontan wird Musik ausgepackt und die Jugendlichen, die sich trauen, tanzen uns eins vor, dass uns ganz schwindelig wird. Jede Bewegung sitzt! Dann sind wir an der Reihe und sollen mittanzen. Mehr schlecht als recht bewegen auch wir uns zur Musik. Ein bisschen fühlen wir uns wie undressierte Tanzbären. Nach dem ganzen Trudel erzählt uns die Direktorin noch ein bisschen zu ihrer Schule, wir machen Fotos mit den Schülern, viele Fotos, seeeehr viele Fotos und tauschen Facebook und Whatsappdaten aus, dann müssen wir zurück nach Porto.
Abends sind wir nämlich im Stadtrat eingeladen. Dort erwartet uns eine Überraschung, wird uns gesagt. Wir waren schon letztes Mal dort zu Gast und dackeln frohgemut und ohne Hintergedanken ins Versammlungsgebäude. Sehr ernst werden wir hier empfangen und zu unseren Plätzen begleitet. Hände werden geschüttelt und wir erkennen auch so manches bekannte Gesicht unter den Anzugträgern wieder.
Dann geht es los. Nationalhymmne, ernste Gesichter und die runtergeratterte Vorlesung des Protokolls der letzten Sitzung machen den Anfang. Ziemlich langweilig für uns, niemand versteht auch nur ein Wort (bis auf Ella vielleicht, obwohl auch die sicher ihre Probleme gehabt haben wird), denn der kleine Mann mit Brille und grauen Haaren, den ich ab jetzt nur noch Giftzwerg nennen werde, laß einfach zu schnell und zu nuschelig.
Dann sind wir an der Reihe. Ella wird auf ein Podium gebeten, um über unser Projekt zu berichten. Für Ella kein Problem - eigentlich. Sie erzählt das Übliche über uns. Dass wir ein Austauschprojekt sind, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Porto Jugendlichen mit wenig oder keiner Zukunftsperspektive Möglichkeiten zu bieten sich schulen zu lassen und zu arbeiten. Dass wir zusammen mit den Jugendlichen hier schon viel erreicht haben und froh sind heute hier eingela… Viel weiter kommt Ella nicht (der Giftzwerg). Er fährt dazwischen und erzählt, deutlich erregt, Minutenlang von einem Angebot, dass er uns vor vier Jahren gemacht hätte. Wir waren damals auf der Suche nach einem geeigneten Grundstück für unsere Plantage. Er hätte Raimundo, so der Giftzwerg, das Angebot gemacht, uns eines seiner 10-20 Hektar großen Grundstücke zu SCHENKEN. Wir hören das zum ersten Mal und sind deshalb natürlich erstmal sprachlos, was der Giftzwerg natürlich dazu ausnutzt, um weiter auf uns einzumeckern. Als wir beteuern wollen, dass wir wirklich noch nie von diesem Angebot gehört haben, lässt er uns nicht ausreden. Überhaupt, lässt er kaum jemanden etwas sagen. Er gefällt sich in seiner Rolle des falsch verstandenen Samaritas so gut, dass er jetzt nicht nur beleidigt sondern auch noch beleidigend ist. Er sagt, als Ella mal wieder den Versuch startet, das Missverständnis aus dem Weg zu räumen, und beteuert, nichts von alle dem gewusst zu haben, dass sie nichts wisse. Dann fragt er vor versammelter Mannschaft mit vollem Ernst, was wir denn schon erreicht hätten, in der Projektzeit. Jetzt werden wir auch sauer. Von so einem dahergelaufenen Rumpelstilzchen lassen wir uns doch nicht unseren gemeinsamen Traum, der gerade auf dem besten Weg Wirklichkeit zu werden und schon zu einem großen Teil umgesetzt ist, mies machen. Es fällt schwer, zu Wort zu kommen, doch als wir dann endlich auch mal wieder das Mikrofon zu packen bekommen, reden wir Tacheles. Wir zählen unsere Erfolge auf und erklären dem ungeduldig in seinen Akten Blätternden, dass wir einen langen Weg hinter uns haben, einen Weg voller Arbeit und das wir noch längst nicht am Ziel unserer Arbeit sind, aber dass wir, wenn wir jetzt auf die letzten Jahre zurückschauen, zufrieden sein können.
Bald sind hier wieder Bürgermeisterwahlen. Uns überkommt das Gefühl, dass das was wir gerade erleben, gelebter Wahlkampf ist. Neto und Marcelo bestätigen unseren Verdacht. Aber wir wollen uns nicht instrumentalisieren lassen. Der Giftzwerg will ganz eindeutig, so kommt es mir vor, unseren Freund Raimundo madig machen, um an dessen Posten des Vizebürgermeisters zu kommen. Wir sind ein leichtes Opfer: unser Portugiesisch ist eher so mais ou menos und von den Machenschaften der hiesigen Politik haben wir auch nur einen blassen Schimmer. Giftzwergs scheinbare Strategie ist den hilfsbereiten, an der Jugend interessierten Politiker zu mimen um so Stimmen zu cashen und Raimundo öffentlich in ein schlechtes Licht zu rücken. Irgendwann fragen wir ihn, was er eigentlich will. Da lädt uns der Pöx dann zum Essen bei sich ein, um alle Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Wir nehmen natürlich dankend an (so ein netter Kerl!), man darf nicht vergessen, dass es sich bei dem Gespräch um eine öffentliche Sitzung gehandelt hat, bei dem nicht wenige Zuschauer Anteil genommen haben. Irgendwann kommen wir nicht mehr weiter. Das Gespräch beginnt sich im Kreis zu drehen und wir einigen uns darauf, die Fortsetzung der Sitzung zu verschieben, bedanken uns und ziehen ab (natürlich mindestens so sauer wie zehn Kilo unreife Zitronen: blöder Giftzwerg!). Immer häufiger fällt mir auf, wie umständlich es ist, eine „nichtpolitische“ Organisation zu vertreten. Gerne würden wir diesem Einfaltspinsel mal unsere Meinung pauken und Stellung beziehen. Stellung für faire und nicht korrupte Politiker, doch müssen wir immer im Sinn unserer Freunde denken und wenn wir es uns mit einem wie dem Giftzwerg vermiesen und der dann die Wahlen für sich gewinnt, können wir einpacken. Dann wäre alles für die Katz und wir hätten nichts erreicht, nada, njente. Und so machen wir gute Mine zum bösen Spiel und lassen uns vom Rumpelstielzchen einladen.
Wir dackeln ab und verbringen, schlecht gelaunt über diese (echt bescheuerte) Überraschung des Abends, den restlichen Abend auf der Pra
ça. Zum Glück kommen Mylla, Tatyana und Edilberto und heitern uns ein bisschen auf.
Leonard



1 Kommentar:

  1. toll geschrieben, du kleiner meisenmann. habe gelacht und dich vermisst. der stammeshalter. v.

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